Mit Standing Ovations wurde die Premiere von „Richard und Rosa – Eine Liebe in finsterer Zeit“ gefeiert. Die Junge Theaterakademie erzählt darin eine Offenburger Geschichte aus der Nazizeit.
Silke Keil, Offenburger Tageblatt vom 17. September 2021
Die Bühne der Reithalle ist so düster wie die Zeit, in der die Liebesgeschichte spielt: die Jahre nach Hitlers Machtübernahme. Ganz links steht stramm der frisch gebackene Braumeister Richard Mundinger aus Offenburg, rechts ermattet die Lehrerin Rosa Raber aus Mannheim. Beide exponiert, nah am Abgrund. Sie sehnen sich nach Zweisamkeit, doch er, Mitbegründer der NSDAP-Jugendgruppe in Offenburg, kämpft in der Ukraine für den deutschen Sieg und sie, Halbjüdin, ringt in der Heimat um das Überleben ihrer Familie.
„Unser Rainerle ist tot“, schreibt sie in einem Brief und der Gefühlschor, der in blauen Gewändern die Bühne füllt, wiederholt die Worte schreiend, anklagend, sich windend. Als Richard die traurige Nachricht erhält, ist sein zweites Kind bereits begraben. In der Ukraine bereitet er das Grab für andere Zivilisten. Er tötet, lädt Schuld auf sich. „Was ist das doch für ein erbärmlicher Krieg!“, flucht er. Doch Antworten bleiben aus. Die Grausamkeiten, die sich unter dem Wahn eines Sieges der „deutschen Herrenrasse“ ereignen, sind fern jeglicher Vorstellungskraft.
37 Nachfahren anwesend
Ergriffen verfolgen 344 Besucher am Donnerstagabend in der ausgebuchten Reithalle die Premiere des Theaterstücks „Richard und Rosa – Eine Liebe in finsterer Zeit“, packend auf die Bühne gebracht von der Jungen Theaterakademie Offenburg. Es ist die wahre Geschichte eines jungen Paars, das ab 1923 begeistert der nationalsozialistischen Idee folgte, bis es ihr selbst zum Opfer fiel. Und es ist die Geschichte einer Liebe, die so innig war, dass sie allen Gefahren, Erniedrigungen und Entbehrungen trotzte.
Als Richard Mundinger im Juni 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, fallen ihm Rosa Raber und Sohn Riwi in die Arme. Die finale Szene, in der das jüngste Kind, die heute 66-jährige Ellen, von ihren „Eltern“ in die Mitte genommen wird, rührt die Zuschauer zu Tränen – unter ihnen auch rund drei Dutzend Verwandte. „Die Schüler haben meinen Eltern ein neues Leben geschenkt“, dankte Ellen Mundinger im anschließenden Publikumsgespräch. „Sie hatten unglaubliches Glück, dass sie lebend aus diesem Krieg herausgekommen sind.“
Die Offenburger Ausnahme-Sportlerin hat mit unzähligen Briefen und Fotografien ihrer Eltern zum Gelingen des Theaterstücks beigetragen, an dem 100 Akteure spielend, gestaltend oder kostümnähend mitgewirkt haben. Es ist eine Gemeinschaftsproduktion des Grimmelshausen-Gymnasiums mit der Offenburger Kunstschule, der Volkshochschule, den Haus- und Landwirtschaftlichen Schulen sowie der sechsten Klasse der Erich-Kästner-Realschule. Federführend ist der Theaterlehrer Paul Barone (Grimmels).
Auf das besondere Schicksal der Liebenden aufmerksam wurde Wolfgang Gall, bis Mai 2020 Leiter des Museums und Archivs im Ritterhaus. „Richard Mundinger war einer der wenigen Deutschen, die für ihr Handeln Verantwortung übernommen haben“, entnahm Gall den Dokumenten im Archiv. „Die meisten wiesen die Schuld von sich in der Erklärung, dass sie verführt oder verblendet worden waren.“ Die nationalsozialistische Idee sei in Offenburg früh entflammt. „Sie kam aus der Mitte der Gesellschaft“, lässt der Historiker wissen.
Wachsende Furcht
Die jungen Schauspieler zeichnen in 46 Szenen nach, wie sich junge Offenburger für die Befreiung des Volkes aus der französischen Besatzung begeistern ließen. Sie spiegeln den Widerstand einer Gesellschaft gegen fremde Einmischung, die in der krankhaften Vorstellung eines reinen arischen Bluts gipfelt. „Mischlinge“ wie die Geschwister Rabers, politisch und religiös tief in Deutschland verwurzelt, werden plötzlich zu Fremden. Kira Napadovskyy brillierte in der Rolle der Rosa, die auf die Zurückweisungen erst ungläubig und verwundert, dann jedoch mit wachsender Furcht reagiert.
Ebenso mitreißend spielte Mariya Manashirova die Mutter der Familie, die im Konzentrationslager Theresienstadt vergeblich dem Klang der Glocken nachlauscht. Große Bühnenpräsenz bewiesen aber auch der Hauptdarsteller Finnegan Melchior und zahlreiche Nebendarsteller. So ließen die Parteigenossen mit ihren starren Bewegungen und kalten Gesichtszügen das Blut in den Adern gefrieren. Das, so spürte man, geschieht mit einem Menschen, der nicht mehr der Stimme seines Herzens, sondern leeren Paradigmen folgt.
Großartig gelungen
Mit heiteren Szenen und Wortwitz löst das Regieteam um Paul Barone immer wieder das Schwere auf, ohne es zu trivialisieren. Lang anhaltender, stehender Applaus war der Lohn für die zweistündige Theateraufführung, die trotz der eingeschränkten Probemöglichkeiten während des Lockdowns großartig gelungen ist.
Dem Publikum stockte der Atem
Überragende Premiere von „Richard und Rosa“ / Junge Theaterakademie bewegt in der Reithalle.
Susanne Kerkovius, Badische Zeitung vom 20. September 2021
. Ein magischer Moment, wie ihn sich jeder Theatermensch erträumt: dem Publikum stockt der Atem, viele sind den Tränen nahe. Das letzte Bild des Stücks „Robert und Rosa“, das die Junge Theaterakademie unter Paul Barone und seinem Team in der Reithalle auf die Bühne brachte, brennt sich in die Erinnerung ein. Dabei ist es nur ein Familienfoto. Richard und Rosa 1948 nach acht Jahren Trennung wiedervereint, mit Sohn Riwi und Rosas Mutter und Schwestern, in der Mitte ihre 1955 geborene reale Tochter Ellen, die ohne dieses glückliche Ende nicht existieren würde.
Die Geschichte von Richard Mundinger, Braumeister und Offenburger Nazi der ersten Stunde, und der Volksschullehrerin Rosa Raber aus Mannheim, Tochter einer jüdischen Mutter und eines „arischen“ Vaters, ist nicht fiktiv, sondern real und in Zeugnissen und einem umfangreichen Briefwechsel „verbrieft“.
Wolfgang Gall, ehemaliger Leiter des Ritterhaus-Museums, hatte in seinen Forschungen über die NS-Zeit in Offenburg reichlich Quellenmaterial über die Clique der jungen Männer um den späteren Kreisleiter Karl Rombach zusammengetragen, zu der auch Richard Mundinger gehörte. Als Einziger distanzierte sich dieser noch während des Krieges und bekannte sich danach schuldig. Seine von der Nazi-Ideologie kriminalisierte Liebe zu Rosa hatte ihm die Augen geöffnet.
Dass diese Liebe „in finsteren Zeiten“ (Bertolt Brecht) schließlich Erfüllung fand und in Friedenszeiten in eine lebenslange Ehe mündete, ist fast märchenhaft und befriedigt die geheime Sehnsucht nach dem Sieg des Guten, wie es auch von den jungen Schauspielerinnen im Gespräch geäußert wurde. Wie schwer es ist, dieses Gute in den Lebensumständen einer unmenschlichen Diktatur, zumal noch in Kriegszeiten, am Leben zu erhalten, zeigt sich in diesem Stück in vielen Alltagsszenen, etwa wenn Richard als Mitglied der Waffen-SS in der Ukraine erkennt, wie unmenschlich es ist, das Land der gastfreundlichen Bauernfamilie in ein „rauchendes Trümmerfeld“ zu verwandeln.
Basis ist eine wahre Geschichte aus der Offenburger NS-Zeit
Rosa, die mit dem gemeinsamen Sohn Riwi, ihrer Mutter und den Schwestern Else und Grete in einem Dorf im Odenwald untergekommen ist, erlebt dort neben Ausgrenzung auch Unterstützung durch eine mitfühlende Nachbarin und eine taffe Vermieterin. Mutige Entscheidungsträger bestimmen in Sekunden über Schicksale, zum Beispiel wenn Rosas Mutter wegen ihres jüngsten Sohnes nicht nach Gurs deportiert wird. Und dass Rosa und ihre jüdische Mutter selbst Anhängerinnen des völkischen Denkens waren, bis sie erfuhren, dass sie nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten, macht die Unentwirrbarkeit der Widersprüche dieser Zeit deutlich. Der Aufbau des Stücks aus der Feder von Paul Barone zeigt als Rahmenhandlung das Leben des Paares in der Trennung, basierend auf seinen Briefen, und im Rückblick wird gezeigt, wie es dazu kam. Dieser beginnt im Juli 1923 in Offenburg, zur Zeit der französischen Besatzung mit der Entstehung einer Gruppe junger Widerständler mit vaterländischem Pathos, aber auch viel jugendlicher Albernheit, Pöbelei und aufgeblasenem Jungmännergehabe.
Mittendrin: Richard Mundinger und seine beiden Brüder. Hinreißend die pantomimisch gespielte illegale Plakat-Aufhängen-Aktion oder die parodistische Tanzstunde. Aus den „bösen Jungs“ der Mittelschicht, angeschmachtet von den völkisch denkenden Jungmädels und angegriffen von den Sozialdemokratinnen, werden NS Regionalgrößen. Am Ende des Stücks kehren sie verwundet und gebrochen zurück, und die Parole heißt: „Schweigen, Schweigen, Schweigen!“
Die Hauptdarsteller Finnegan Melchior (Richard) und Kira Napadovskyy (Rosa) spielten intensiv und bewegend dieses beeindruckende Liebespaar. Viel Bewegung brachte der „Chor der Gefühle“, der die inneren Stimmen der beiden Getrennten zum Ausdruck brachte. Es wurde getanzt, parodiert, verlangsamt, durch Standbilder Wirkung erzeugt, eine ruhig gleitende Entwicklung mit viel innerer Dynamik ließ auch die vielen anwesenden jüngeren Schülerinnen und Schüler mehr als zwei Stunden lang aufmerksam dabei bleiben.
Anschließend stellten sich Wolfgang Gall, Paul Barone und Ellen Mundinger den Publikumsfragen. Ein außergewöhnlicher, unvergesslicher Theaterabend!