Von den mächtigen Feinden der Freiheit

Junge Theaterakademie bringt die Neufassung von „Vision Freiheit“ auf die Bühne im E-Werk-Zelt auf dem Platz der Verfassungsfreunde.

Juliana Eiland-Jung, Badische Zeitung vom 9. Juli 2022

„Ihr habt euch nie Gedanken darüber gemacht, wie mächtig die Feinde der Freiheit sind“, sagt Luise von Schauenburg (gespielt von Nele Fleig), am Ende der fast dreistündigen Aufführung von „Vision Freiheit“ am Donnerstagabend. Die historischen Begebenheiten um die badischen Revolutionäre, die von der Jungen Theaterakademie leidenschaftlich nachgespielt werden, erwiesen sich nicht nur hier, sondern den ganzen Abend über als ausgesprochen zeitgemäß.Das Stück, das schon 2015 im Salmen aufgeführt worden war, wurde zu den Heimattagen neu bearbeitet und für die große Bühne im E-Werk-Zelt angepasst. Auftritte, sogar Aufmärsche durch die voll besetzten Publikumsreihen, Massenszenen, in denen das Elend der einfachen Leute, vor allem der Kinder und Frauen, dargestellt wird, wechseln sich mit intimen, intensiven und privaten Momenten ab. Die beiden Schauenburg-Schwestern Luise und Franziska (Olivia Viviani) bilden die dramaturgische Klammer und verbinden das öffentliche und private Erleben. Bei beidem gib es (vorerst, wie die Nachgeborenen wissen) kein Happy End. Die Perspektive der Frauen und Kinder, die in der offiziellen Geschichtsschreibung und auch bei den Offenburger Forderungen so oft vergessen wurde, spielt in diesem kostümbunten Historiendrama eine wichtige Rolle. Während die Männer – Karl Schaible (Adrian Schmid), Franz Volk (Lennard Kohlmann), Eduard Rehmann (Philipp Wink), Emmerich Barth (Simon Frädrich), Pfarrer Kuhnt (Moritz Richter) und Rudolf Reul (Silvio Segarich) um Freiheitsrechte kämpfen, geht es bei den Kindern und dem armen Volk ums schiere Überleben. Ob von Obrigkeit oder Hunger erzwungene Auswanderung oder das den gescheiterten Revolutionären aufgezwungene Exil: Vision Freiheit erinnert daran, dass Deutschland auch einmal Auswanderungsland war.

Umgesetzt wird das Ganze in starken Bildern, mit vielen choreografischen Einfällen, die durch die von Gerhard Möhringer-Gross geschriebene Bühnenmusik begleitet werden. Dabei erweist sich das Offenburger Ensemble als ebenso schmissige Militärkapelle wie auch als sensibler, atmosphärischer Begleiter in den ruhigen Szenen. In den Liedern (zum Teil als Solo-Gesang, zum Teil vom Chor gesungen) spiegelt sich die ganze Dramatik des Geschehens wider. Georg Weerths „Hungerlied“ schildert Verzweiflung und Aufbegehren, Adalbert Harnischs „Bürgerlied“ den Gemeinsinn der Revolutionäre, Karl-Ludwig Pfaus „Badisches Wiegenlied“ die Brutalität des Krieges.

Gespielt, gesungen und getanzt wird das alles von rund 150 Mitwirkenden unter der Leitung des Regieteams mit Paul Barone, Patrick Labiche und Stephanie Scherer. Ihnen ist es für das Publikum merkbar gelungen, die Jugendlichen wirklich für diesen wichtigen Teil der deutschen Geschichte zu interessieren, weil eben keine fertigen Antworten gegeben werden, sondern die Ambivalenz der persönlichen Entscheidungen nachvollziehbar bleibt. Es geht um Liebe, Politik, Heimat, Fernweh, gesellschaftliche Zwänge – und um die Frage, wie eine Gesellschaft gerechter werden kann. Fragen, die Jugendliche und Erwachsene heute genauso beschäftigen wie damals. Die schauspielerische Leistung der einzelnen Akteure in Haupt- und Nebenrollen war beeindruckend, der lange, herzliche Schlussapplaus hochverdient.

Charmant verpackte Historie

SO WAR DIE PREMIERE VON „VISION FREIHEIT“ DER JUNGEN THEATERAKADEMIE

Regina Heilig, Offenburger Tageblatt vom 8. Juli 2022

Mit „Vision Freiheit“ überzeugte die Junge Theaterakademie bei der Premiere: Das Stück über die Zeit der 48er-Revolution in Offenburg wird heute, Samstag, nochmals aufgeführt.

Mit ihrem Beitrag zu den Heimattagen in Offenburg, dem fast dreistündigen Theaterpanorama „Vision Freiheit“, hat die Junge Theaterakademie Offenburg ein Meisterstück abgeliefert. Am Freitag war Premiere im gut besetzten Zelt auf dem Platz der Verfassungsfreunde und damit an einem Ort, der nicht besser passen könnte – handelt das Werk doch von der am Ende gescheiterten „48er-Revolution“, die in Offenburg mit der Versammlung der „entschiedenen Freunde der Verfassung“ am 12. September 1847 ihren Anfang nahm.

Regisseur Paul Barone packt viele künstlerische und darstellerische Elemente in die große Produktion und setzt nicht zuletzt auf einprägsame Bilder, wenn etwa Schlussszenen zu „Tableaux vivantes“ mit hohem Symbolwert erstarren.

Musik (Leitung: Gerhard Möhringer-Groß) und Tänze transportieren Sinn und ordnen. Da fügen sich zu einer dekonstruierten Version des Deutschlandliedes Männer und Frauen in einem stark stilisierten Menuett zur Skulptur „Male/Female“ zusammen, im Turnverein, der einen politischen Zirkel tarnt, werden zu Elektro-Musik gymnastische Übungen angedeutet und die revolutionär gesinnten Frauen lassen beim Cancan die Röcke wirbeln. Dieser unbestreitbare Publikumsliebling ist historisch goldrichtig in der Zeit verankert – und mit Blick auf „Paris 1848“ als Vorbild ist auch die Verortung in Offenburg als künstlerische Freiheit vertretbar.

Die politischen und gesellschaftlichen Bruchlinien verkörpern nicht nur die adligen Schauenburg-Schwestern Fanny (Olivia Viviani) und Luisa (Nele Fleig), sondern auch die Bürgerinnen auf dem Markt, wo die einen das Elend der Armen sehen und die anderen erst einmal die „unwürdigen Müßiggänger“ heraussortieren wollen. Ähnlich prallen später der Jubel darüber, dass wegen der dreizehn Forderungen des Volkes in Baden „in ganz Deutschland die Rede von Offenburg“ und die Klage, dass „unser schönes Offenburg als Revoluzzernest“ verschrien sei, aufeinander. Und als wären das noch nicht genug Gegensätze, fährt auch noch der Geist der Irrationalität in Gestalt zweier schwarzer Vetteln durchs Bild, die zur erzkonservativen „Trierer Wallfahrt“ von 1844 laden und deren Rezept gegen alle irdische Unbill lautet: „Betet!“

Gleich drei Chöre, die wie das sparsame Bühnenbild „Schwarz“, „Rot“ und „Gold“ tragen, verstärken die Aussagen, wenn etwa der Revolutionär Franz Volk (Lennard Kohlmann) und die Armutskriminelle Agatha (Emelie Kalhoff) aus unterschiedlichen Gründen im Gefängnis schmachten.

HAUCH VON SLAPSTICK

Und so, wie sie zur Auswanderung gezwungen wird – die Überfahrt nach Amerika kommt ihre Heimatstadt billiger als dauerhafte Sozialhilfe –, trifft das Schicksal des Exils am Ende auch die Freunde der Verfassung und deren Familien.

Die Inszenierung der Jungen Theaterakademie setzt neben den zentralen Paaren Gustav (Aaron Werner) und Anna Reé (Mirjam Führer) sowie Fanny von Schauenburg und Franz Volk auf viel Info im Text, der neben sozialen und politischen Kernthemen in den Dialogen „en passant“ auch die Fülle der Versammlungen in Offenburg zwischen 1847 und 1849 strukturiert – und nicht zuletzt auf einen Hauch Slapstick, wenn etwa der bei der Rückkehr aus dem Exil als Frau verkleidete Emmerich Barth (Simon Frädrich) auf seinen alten Freund und Mitstreiter Karl Heinrich Schaible (Adrian Schmid) trifft.
Das Publikum feierte die herausragende Vorstellung mit langem und hoch verdientem Applaus.

Weitere Infos auf der Website der Jungen Theaterakademie Offenburg

Foto: Armin Krüger

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