Artussage in den Demokratiediskurs einverleibt

Von Juliana Eiland-Jung, Badische Zeitung vom 25.11.2023

Die lange Liste von Bearbeitungen der Artus-Sage wurde am Donnerstagabend in Offenburg fortgeschrieben: Die Junge Theaterakademie präsentierte den seit 1000 Jahren überlieferten Mythos in prächtiger Ausstattung, aber inhaltlich modernisiert.

Imposant, wenn sich am Ende nicht nur die 50 Darstellenden, von denen die meisten das Grimmelshausen-Gymnasium besuchen, vor dem begeisterten Premierenpublikum verbeugen. Vor der damit fast schon überfüllten Reithallenbühne versammeln sich dazu noch die Kostümschneiderinnen der Haus- und Landwirtschaftlichen Schulen, außerdem einige der für das Bühnenbild Verantwortlichen der Erich-Kästner-Realschule, das Spielleitungsteam und Volkshochschulgeschäftsführer Walter Glunk. Großer Jubel allenthalben, die Reithalle bebt.

Hörschadengefahr bei der Lautstärke des Beifalls für Cornelia und Paul Barone

Als jedoch zum Schluss Spielleiter Paul Barone und seine für Kostüm, Koordination und vieles andere zuständige Ehefrau Cornelia auf die Bühne geholt werden, verdoppelt sich die Lautstärke. Dezibel werden zum Zeichen einer von Herzen kommenden Dankbarkeit für Barones Theaterarbeit, für den Teamgeist, den er in der Jungen Theaterakademie fördert, für das unerschöpfliche Engagement.

Damit spiegelt die Szene das Schlussbild der gut zweistündigen Inszenierung wider: König Artus und seine Frau Ginerva (Colin Thiel und Nele Fleig) feiern im Kreis der Ritter und Untertanen, dass sich Güte und Demokratie gegen die Mächte des Bösen durchgesetzt haben. Demokratie statt Männerbund, Artus vom Volk gekrönt statt nur durch mythische Kraft auserwählt? Die Junge Theaterakademie hat die Sage einverleibt in den Demokratiediskurs, der seit Jahren ihr thematisches Rückgrat bildet.

Foto: Christoph Breithaupt

Tanzszenen und Naturmystik wie in einer Barockoper, mit aufklärerischer Botschaft wie bei Schiller

Doch die Modernisierung kommt im alten Gewand daher, mit einer Mischung aus Ernst und Heiterkeit wie bei Shakespeare, mit Tanzszenen und Naturmystik wie in einer Barockoper, mit aufklärerischer Botschaft wie bei Schiller. Die Kunst, ein so großes Ensemble zu beschäftigen, jüngeren und älteren Darstellern passende Rollen geben zu können, sollte nicht unterschätzt werden. Barone & Co. lösen sie durch eine gute Mischung aus Einzelrollen und Gruppen.

Bei ersteren sind es die – gendermäßig ausgewogen besetzten – Ritter der Tafelrunde und die bösen Gegenspieler der dunklen Armee und Morgana (Fiona Höpf), bei der Anspielungen auf böse Feen oder Stiefmütter aus Märchen vielleicht nicht zufällig sind. So versetzt sie die Feiernden an Artus‘ Hof in einen eingefrorenen Zustand und versucht, mit vergifteten Tränken, verzauberten Kleidern und intriganten Reden Zwietracht unter die Artus-Anhänger zu säen. Arme Kinder und Bauern glauben ihr, weil Artus ihre Erwartungen enttäuscht hat. Raben, die stets als Schwarm bedrohlich krächzend und flügelschlagend auch durch den Zuschauerraum flattern, sind ihre Verbündeten. Als Gegenbild dazu tanzen elfengleiche Feenwesen durch den Wald, und der Chor der Elemente singt betörend.

Schön gegen den Strich gebürstet also, diese Artus-Sage

Eine glanzvolle Rolle kommt dem Zauberer Merlin (Marcus Roth) zu, wogegen Parzival (Silvio Segarich) den Antihelden schlechthin gibt: tölpelhaft und kindlich sucht er überall nach dem Heiligen Gral, und würde ihn wohl nicht finden, wenn er darüber stolperte. Schön gegen den Strich gebürstet also, diese Artus-Sage, und dennoch mit Ernsthaftigkeit und Leidenschaft dargeboten. Eine der schönsten Szenen: Die musikalische Einlage von Jonathan Busam (Countertenor), und Mattia Catini (Gitarre), mit John Dowlands bittersüßem Liebeslied „Come again“.

Doch das ist nur einer der Momente, in denen man als Zuschauer staunt, was die Jugendlichen an Mut und schauspielerischem Können auf die Bühne bringen. Großartiges Schülertheater!

Foto: Christoph Breithaupt

SKRUPELLOS AUF BEIDEN SEITEN

In einer lebendigen Eigenproduktion der Jungen Theaterakademie Offenburg wird die mittelalterliche Artussage neu erzählt.

Von Regina Heilig, Offenburger Tageblatt vom 25.11.2023

In einem fantastischen Bild- und Klangbogen entfaltete sich bei der Premiere am Donnerstag das jüngste Werk der Jungen Theaterakademie Offenburg: „Artus“. Dass die jungen Mitwirkenden am Skript mitgearbeitet haben, war an Details der Handlung zu erahnen, die der ehrwürdigen Artus-Saga moderne Elemente wie Anklänge an die Harry-Potter-Reihe beimischten, ganz wie der gelehrte Arzt Gaius (Moritz Richter) das von der Kräuterkundigen Runa (Olivia Viviani) gereichte Johanniskraut seiner Arznei. In beiden Fällen zum Besten des Endprodukts.

Am deutlichsten scheinen Aktualität und Heutigkeit von „Artus“ aber heraus, wo der Bezug zwischen schlechtem Regierungshandeln und Naturzerstörung angeprangert wird. Der nicht eheliche Königsspross Artus (Colin Thiel) beginnt seine Herrschaft, obwohl er sich durch eine magische Probe gegenüber seiner legitimen Schwester Morgana (Fiona Höpf) klar qualifiziert hat, alles andere als glanzvoll, nämlich als völlig unsicherer und daher umso tyrannischerer König.

Foto: Christoph Breithaupt

FEEN UND ELEMENTWESEN DER ZAUBERWELT

Nicht nur das Volk, das er harsch abweist, auch seine Ritter und nicht zuletzt die Feen und Elementwesen der Zauberwelt beginnen, sich von ihm abzuwenden. Glück für Artus: Morgana, die umtriebig Abtrünnige als „dunkle Armee“ um sich sammelt, entpuppt sich als noch viel schlimmere Tyrannin.

Artus, unterstützt von seiner Königin Ginevra (Nele Fleig) und den Getreuen der Tafelrunde, allen voran Gawain (Aaron Werner) und Kay (Philipp Wink), wächst als Mensch und lernt, seine Aufgabe an- und ernst zu nehmen.

WANDLUNGSFÄHIGES BÜHNENBILD

Die Inszenierung erzählt die Geschichte vor einem so fantasievollen wie einfachen, ungeheuer wandlungsfähigen Bühnenbild (Leitung Léa Broussard und Michael Witte) in prächtigen Kostümen (Leitung Cornelia Barone und Ingrid Neliba) und abseits klassischer Geschlechtszuweisungen.

So umgeben den König auch weibliche Ritter – beklagenswerterweise nicht minder als ihre männlichen Kollegen zum Verrat fähig und bereit. Denn auch, wenn am Ende das Gute siegt: Skrupellos ist man „bei Königs“ auf der hellen wie auf der dunklen Seite, Treuebruch und Spionage allenthalben.

Zur Musik von Jan Esslinger breitete Spielleiter Paul Barone, dem Simon Frädrich, Stephanie Hugle und Patrick Labiche zur Seite stehen, eine dichte, ansprechend und flott durchchoreographierte Aufführung aus, die über Schauspiel hinaus auch mit Tanz, Kampfszenen und nicht zuletzt Gesang punktete. Der erste und überaus verdiente Szenenapplaus brandete auf, als Countertenor Jonathan Busam zur Gitarrenbegleitung von Mattia Catini den Renaissance-Song „Come Again“ erklingen ließ.

Foto: Christoph Breithaupt

WIE IN „DIE VÖGEL“

Klammer der Handlung und Verbindungsstück zum Publikum sind die Raben von Morgana, die ihr Meisterstück in Sachen Verrat abliefern, als sie in einer an „Die Vögel“ erinnernden Szene der Herrin schließlich den wohlverdienten Garaus machen. Nicht nur flatternd, hüpfend und krächzend, sondern vor allem wie ein Haufen gehässiger Lästermäuler spottend, werden sie schnell zum Publikumsliebling, noch vor dem rührenden und unwahrscheinlichen Liebespaar Merlin (Marcus Roth) und Nimue (Katharina Lux).

Originelle Einfälle wie etwa der Einsatz der Schilde der dunklen Armee als Percussion Shaker machten die überaus lebendige Aufführung, die keine Sekunde Längen zeigte, immer wieder überraschend.

Fotos: Christoph Breithaupt

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