Man hat geschwiegen – wie überall

Die ungewöhnliche Liebesgeschichte ihrer Eltern wurde Basis für das Theaterstück „Richard und Rosa“ und ist ein Stück Offenburger Stadtgeschichte. Ein Interview der Badischen Zeitung mit Ellen Mundinger (BZ vom 21.9.2021)

Ellen Mundinger, Jahrgang 1955, ehemals Lehrerin für Sport und Erdkunde an der Heimschule Lender und ehemalige Offenburger Star-Athletin im Hochsprung, hat eine aufregende Zeit hinter sich. Die ungewöhnliche Liebesgeschichte ihrer Eltern Richard, eines Offenburger Nazis der ersten Stunde, und Rosa, einer sogenannten Halbjüdin, die 1933 begonnen hatte und nach einer langen Zeit der Heimlichkeiten 1948 in eine Ehe münden durfte, wird von der Jungen Theaterakademie um Paul Barone als beeindruckendes Theaterstück auf die Bühne gebracht. Mit Ellen Mundinger sprach Susanne Kerkovius.

Grundlage für die Szenen des Stücks, das am Donnerstag Premiere hatte und auch diesen Dienstag noch einmal zu sehen ist, waren die zahlreichen Briefe, die von Richard und Rosa Mundinger ausgetauscht worden waren und die Ellen Mundinger als „Document humain“ dem Offenburger Stadtarchiv zur Verfügung gestellt hatte (BZ vom 20. September).

BZ: Frau Mundinger, als Sie da im letzten Bild, dem Familienfoto von 1963, auf der Bühne standen inmitten ihrer Schauspieler-Großfamilie, ging das dem Publikum sehr nahe. Es war ein magischer Moment. Wie haben Sie das ausgehalten?
Mundinger: Paul Barone fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich sagte dann: „Klar, das ist doch ein Klacks gegen das, was meine Eltern aushalten konnten.“ Aber als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, war ich in Tränen aufgelöst. Da ich die Idee aber gut fand, habe ich mich sehr intensiv vorbereitet. Das hat geholfen.

BZ: Wie haben Sie sich vorbereitet?
Mundinger: Ich war bei den letzten Proben dabei. Es war also nicht das erste Mal für mich, da zu stehen. Ich hatte es geübt. Es war aber trotzdem sehr intensiv.

BZ: Wie ging denn die Geschichte weiter? Nach all dem Kummer gab es eine Ehe, kamen noch Kinder. Wurde über die Nazizeit noch viel gesprochen?
Mundinger: Das war wie überall: man hat geschwiegen. Meine Mutter erzählte mir aber mal, dass es ihr immer kalt den Rücken runter lief, wenn Karl Rombach nach dem Krieg in die Bierstube kam und tat, als wäre nichts gewesen. Sie traute sich nicht, ihn hochkant rauszuwerfen. So war das allgemein. Man konnte noch froh sein, wenn einem nicht zugezischt wurde: ’Das nächste Mal erwischen wir dich auch noch!’ Der braune Sumpf war noch da.

BZ: Haben sich die Belastungen der Verfolgung bei Ihrer mütterlichen Verwandtschaft später noch gezeigt?
Mundinger: Meine Großmutter kam als gebrochene, stark gealterte Frau aus Theresienstadt zurück und ist 1963 gestorben. Die beiden lebenslustigen Tanten starben auch früh. Meine Mutter konnte den Verlust nur schwer verkraften, hatte lange depressive Phasen und war oft ganz zurückgezogen. Mein Vater hat mit großer Geduld alles getragen und sich um alles gekümmert.

BZ: Können Sie etwas zu Richard Mundingers Rolle in der Ukraine sagen?
Mundinger: Er war als einfacher Soldat dort bei einem Versorgungstrupp weit hinter der Front. Aber auch so war er verwickelt und fühlte sich schuldig, weil er nichts für die Bevölkerung tun konnte.


Ellen Mundinger

Ellen Mundinger wurde 1955 in Oberkirch geboren und startete als Leichtathletin zunächst für die LG Offenburg, später für den USC Mainz. Sie holte drei deutsche Meistertitel, wurde 1972 bei den Olympischen Spielen in München Zehnte und holte 1973 Gold bei den Junioreneuropameisterschaften. Ihre Bestleistung als Hochspringerin lag bei 1,89 Meter. Nach ihrer sportlichen Karriere arbeitete sie als Lehrerin an der Heimschule Lender und ehrenamtlich als Trainerin.

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