Inhalt

Wir haben die Familiengeschichte einer russlanddeutschen Schülerin (Alice Dell) bis in die Zeit der Zarin Katharina der Großen zurückverfolgt. In rasch aufeinander­fol­gen­den Sequenzen wird gezeigt, wie ihre Familie über Jahrhunderte auf der Suche nach Heimat war, immer wieder aber schmerzvolle und traumatische Erfahrungen von Fremdheit und Heimatverlust ertragen musste. Durch diese filmische Rekonstruktion der Familiengeschichte wird aufgezeigt, was Geschichte uns heute noch angeht: nämlich dass unser gegenwärtiges Erleben oft nur vor dem Hintergrund unserer kollektiven Geschichte zu verstehen ist.

Partner

Klasse: Kurs Literatur und Theater der Stufe 12 des Grimmelshausen-Gymnasiums

Fachlehrer: Paul Barone

Mitwirkende

Schauspielerinnen und Schauspieler:

Laura Buchner, Alice Dell, Fabienne Grandjean, Désirée Heilmann, Janine Kimmig, Dafina Kosumi, Wladislaw Margerdt, Michelle Meissner, Niko Nikolovski, Chiara Paprotny, Madleen Piegsa, Alexander Poddan, Afra Preuß, Rachelle Quassivi, David Schiebel, Waqaar Younis

In weiteren Rollen: Benjamin Barone, Luisa Barone, Oleg Enns, Jakob Graf, Hakan Ulay

Drehbuch: Kurs Literatur und Theater (Abiturjahrgang 2019), Paul Barone, Zaid Ghasib

Kostüme: Cornelia Barone

Kamera: Zaid Ghasib

Regie: Kurs Literatur und Theater, Zaid Ghasib, Paul Barone

Ton: Hakan Ulay, Chiara Paprotny, Alice Dell, Oleg Enns, Paul Barone

Postproduktion: Zaid Ghasib

Mitarbeit Postproduktion: David Walz

Projektleitung: Paul Barone

Der Storytelling-Baukasten

Hier finden sich Erläuterungen, wie die Bausteine des Storytelling-Baukastens in dem Filmprojekt „Was geht Geschichte uns heute noch an? Eine russlanddeutsche Familiengeschichte“ zur Anwendung kommen (ohne dass an dieser Stelle näher auf die Entwicklung der Szene eingegangen werden kann):

Idee

Biografie: Der Film „Was geht Geschichte uns heute noch an? Eine russlanddeutsche Familiengeschichte“ erzählt die Familiengeschichte einer Schülerin des Kurses, Alice Dell. Sie hat ihre Eltern und älteren Geschwister nach ihren Erinnerungen befragt. 

Storyvorlage: Neben den Erzählungen der Familie haben wir uns auf historische Darstellungen zur Geschichte der Russlanddeutschen  gestützt.

Frage: Die Leitfrage, an der wir uns orientiert haben, ist im Filmtitel enthalten: „Was geht Geschichte uns heute noch an?“ Wir  wollen anhand der Geschichte der Familie von Alice exemplarisch der Frage nachgehen, wie die geschichtliche Erfahrungen – auch wenn sie längst vergangen sind – unsere heutige Existenz und Identität prägen. Machtpolitische Entscheidungen der Zarin Katharina die Große, von Stalin, oder Chruschtschow oder historische Ereignisse wie der Zweite Weltkrieg oder der Mauerfall erweisen sich immer noch als prägend für die Identität vieler Russlanddeutschen heute.

Vision: Der Schatz, nach dem die Familie von Alice über Jahrhunderte gesucht hat, aber letztlich nie finden konnte, ist Heimat.  In Russland wurdes sie als Deutsche gesehen, nach der Wende in Deutschland als Russen. Zum ersten Mal hat Alice, die im Jahr 2000 in Offenburg geboren wurde, das Gefühl, hier ihre Heimat gefunden zu haben.  

Story

Situation: Der Film reiht episodenhaft entscheidende Situationen aus der Lebensgeschichte von Alice‘ Familie aneinander. 1764: das Anwerben von Auswanderern an die Wolga – 1924: Hochzeit von Alice‘ Urgroßeltern Anna und Joseph – 1941: Nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion wird Joseph von russischen Soldaten getötet (die Russlanddeutschen geraten unter den Verdacht der Kollaboration), sein kleiner Sohn August, Alice‘ Großvater, wird nach Sibirien deportiert – Nach 1945: Alice‘ Großeltern August und Barbara arbeiten im sibirischen Kohlebergwerk – 1953: Nach Stalins Tod werden ihre Großeltern nach Kasachstan umgesiedelt und mussten dort beim Wiederaufbau helfen – 1964: Die Familie Dell kann an die Wolga zurückkehren, August kann das Grab seines Vaters besuchen – 1989: Die Familie wandert nach Thüringen aus, sie ist aber rassistischen Gewalttätigkeiten ausgesetzt – 2000: Nach dem Umzug der Familie nach Offenburg wird Alice hier geboren.

Heldenreise

Aufbruch: Der Ruf des „Abenteuers“ erfolgte in einer Zeit der materiellen Not im ausgehenden 18. Jahrhundert durch die Werber der Zarin Katharina die Große, an die Wolga aufzubrechen und dort eine neue Heimat zu suchen.

Aufgaben: Das Leben in der Fremde ist über Generationen mit schweren, zum Teil tragischen verlaufenden Kämpfen (wie nach dem Einmarsch der Deutschen im 2. Weltkrieg) und tiefen inneren Konflikten verbunden (z.B. vor der von deren Eltern gewünschten Hochzeit von Alice‘ Urgroßeltern Anna und Joseph. 

Entscheidende Prüfung: Als entscheidende Prüfung könnte man die Rückkehr der Familie an die Wolga im Jahr 1964 ansehen, nach der August das Grab seines Vaters besuchen konnte.

Rückkehr: Die Rückkehr nach Deutschland bringt zunächst nicht die erhoffte Erlösung. In Thüringen ist die Familie rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, erst in Offenburg kann sie  eine neue Heimat finden.

Charaktere

Held: Jede Familiengeneration hat ihre Heldinnen und Helden. Mal brechen sie aktiv in die fremde Welt auf (wie nach der Werbung durch Katharina die Große), mal erleiden sie mehr oder weniger passiv ihr Schicksal (wie Joseph und August). Hinter ihren unterschiedlichen Zielen  (need) steht aber immer das gleiche innere Bedürfnis (want): Heimat.

Gegner: Gegenspieler sind zum einen die Mächtigen, deren Entscheidungen das Leben der einfachen Menschen gravierend verändern kann, zum anderen diejenigen, die ihre Befehle ausführen wie die Offiziere und Soldaten. Es sind aber auch z.B. die Mitschüler von Alice‘ Bruder in Thüringen, die ihn aus rassistischen Beweggründen misshandeln.

Herold: Eine typische Heroldfigur ist die Werberin, die im Auftrag der Zarin Katharina die Große Deutsche für die Auswanderung an die Wolga anwirbt.

Storyworld

Setting: Alice ist die gewohnte Welt (Raum 1) Offenburg, ihre Freunde, ihre Schule. Die Geschichtsklausur lässt sie in Gedanken in die Fremde Welt ihrer Familie (Raum 2) reisen, die so gegensätzliche Räume wie die Wolga, Sibirien, Kasachstan oder Thüringen umfasst.

Bewohner: Die Bewohner von Raum 1sind zunächst ihre Freundinnen, mit denen sie die Schule besucht; die Bewohner vom Raum 2 sind die verschiedenen Generationen ihrer Familie, ebenso wie deren Gegenspieler. 

Schauspielen

Rollen: In dem Film kommen mehrere Figuren vor, deren individuelle Geschichte wir rekonstruiert haben (z.B. Anna, Joseph, August), daneben begegnen uns Gruppen (wie die Auswanderer, die Familien, die 1964 teilweise an die Wolga zurückkehren dürfen, die Mitschüler von Alice‘ Bruder, usw.). Als Chor agiert die Gruppe im sibirischen Bergwerk: die Arbeit im Kolhestollen haben wir als Choreografie mit einfachen, repetitiven Bewegungen ausgearbeitet.

Stil: Wir haben uns durch die Orientierung am Genre Spielfilm für einen natürlichen Schauspielstil entschieden, bei dem wir übertriebene Ausdrucksformen vermieden haben – auch weil sich zahlreiche Großaufnahmen finden.

Dramaturgie

Plot: Der Plot beginnt in der Gegenwart, als Alice mit gerade eine Klausur über die russische Geschichte geschrieben hat. Die Frage einer Mitschülerin, was Geschichte uns heute eigentlich noch angeht, löst Erinnerungen an ihre Familiengeschichte aus. Es folgt ein Flashback auf die Zeit der Auswanderung an die Wolga. Anschließend folgen die Episoden in chronologischer Reihenfolge, Unwesentliches wird weggelassen (Ellipsen), bis der Plot am Ende wieder in der Gegenwart der Eröffnungsszene ankommt. Die Leitfrage, die wir uns in unserer Eigenproduktion vorgenommen haben, lautet: Was hält eine Gemeinschaft zusammen? Damit zusammen hängen Fragen wie: Was ist gerecht? Mit welchen Mitteln lässt sich für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen?

Collage: Der Film wählt das dramaturgische Modell einer  Collage: in Episoden werden die wichtigsten Drehpunkte in der Familiengeschichte erzählt. Die Episoden sind durch eine Rahmenhandlung in der Gegenwart verbunden.

Erzählen: Eine erzählerische Funktion übernimmt das Voice over aus der Perspektive von Alice. Die schwarzweißen Standbilder  mit eingeblendeter Jahreszahl erzeugen den Eindruck von Fotos und erfüllen damit auch die Funktion der narrativen Strukturierung. 

Filmkonzept

Anker: Der Film wählt sowohl einen biografischen Anker durch die Thematisierung der Familiengeschichte einer Schülerin des Kurses als auch einen lokalen Anker, als der zentrale Konflikt sich darin auflöst, dass sie in Offenburg ihre Heimat gefunden hat.

Multimedia: Zwischen die einzelnen Episoden werden schwarzweiß eingefärbte Standbilder eingeblendet, die zum Teil lebendig werden. Sie strukturieren den Film erzählerisch, indem sie eine neue Episode ankündigen und zeitlich einordnen.

Ästhetik: Der Film orientiert sich durch seinen natürlichen Schauspielstil primär an der Ästhetik des Spielfilms. Die choreografische Inszenierung der Arbeit im Kohlebergwerk greift allerdings auch Elemente der Theaterästhetik auf.

Kamera

Shot: Der Film ist überwiegend in Nah- und Großaufnahmen gefilmt. Dadurch wird die Aufmerksamkeit vor allem auf die Gestik und die Mimik gerichtet. Die Zuschauer/innen sollen einen Einblick in die Gefühle und in das innere Erleben einer Familie gewinnen, die über Generationen auf der Suche nach Heimat ist.

Kamerabewegung: Der Film ist durchgehend mit der Handkamera gefilmt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Story aus der subjektiven Sicht einer Figur erzählt wird, die nah am Geschehen. Daraus ergibt sich der Charakter des Authentischen und Dokumentarischen.

Postproduktion

Sound: Die Musik verstärkt überwiegend die Handlung atmosphärisch (playing the action) und unterstützt damit die filmische Erzählhaltung, den Zuschauer/innen Einblick in die Gefühlswelt der Familie zu geben. Geräusche wie die Pistolenschüsse verstärken den filmischen Realismus und damit auch die Einfühlung in das innere Erleben der Figur. Das Voice over aus der Sicht von Alice übernimmt eine erzählerische Funktion und verbindet die verschiedenen Episoden miteinander.

Wir freuen uns über eine Rückmeldung.

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