Zehn Jahre lang irrt Odysseus mit seinen Gefährten über das Meer, bevor er seine Heimat Ithaka wiedersehen kann. Auf jeder Insel erwarten ihn neue Schrecken: der einäugige Zyklop, die Steine werfenden Lästrygonen, die böse Zauberin Circe oder die sechsköpfige Skylla…
So faszinierend diese Abenteuer auch sein mögen – was Odysseus letztlich antreibt, ist die tiefe Sehnsucht nach
seiner Heimat Ithaka, seiner Frau Penelope und seinem Sohn Telemachos.
Was aber bedeutet Heimat für uns heute? Um eine zeitgemäße Antwort auf diese Frage zu finden, spiegeln wir
den antiken Mythos in den persönlichen Gedanken der Jugendlichen.
Familiengeschichten von Flucht und Heimatverlust ebenso wie persönliche Erfahrungen von Gastfreundschaft
– nicht zuletzt hier ihn Offenburg – bringen die erstaunliche Aktualität von Homers Epos zum Vorschein. Nach fast dreitausend Jahren bleibt dieses ein bewegendes Zeugnis dafür, dass jeder Mensch eine Heimat braucht.
In dieser Szene gelangt Odysseus mit seinen Gefährten zur Insel von Steine werfenden, barbarischen Riesen, den Laistrygonen. Wir spiegeln die mythologische Episode in der Familiengeschichte eines Mitschülers: Während des Bosnienkriegs wurde seine Mutter auf der Flucht von den Serben mit Steinen beworfen, nachdem diese ihre Haus niedergebrannt hatten.
Ein Gemeinschaftsprojekt des Theater am Grimmels, der HLSOG und der Stadt Offenburg
Musikkomposition: Gerhard Möhringer-Gross
Infos zu den Mitwirkenden im Programmheft
Weitere Infos zu „Odysseus“ finden sich auf der Website der Jungen Theaterakademie.
Der Theaterbaukasten
Hier finden sich Erläuterungen, wie die Bausteine des Theaterbaukastens in der Szene zur Anwendung kommen (ohne dass an dieser Stelle näher auf die Entwicklung der Szene eingegangen werden kann):
Formation: In dieser Szene begegnen uns mehrere Formationen: Die Gefährten rudern in einer Blockformation, sie stehen hinter Odysseus im Pulk, die Laistrygonen stellen sich in einer Reihe vorne auf.
Höhe: Beim Rudern sitzen die Gefährten, Odysseus dagegen steht aufrecht, seinem Status entsprechend.
Tempo: Der Chor der Laistrygonen spielt in verlangsamten Tempo, verbunden mit einem grotesken Ausdruck. Beides zusammen intensiviert die körperliche Energie des Chors.
Freeze: Nach dem zweiten Steinwurf geht der Chor ins Freeze, um ein ausdrucksstarkes Tableau während des autobiografischen Voice over zu erzeugen. Das Freeze ermöglicht es den Zuschauer/innen zudem, die Aufmerksamkeit ganz auf den Inhalt des Voice over zu richten, entsprechend der Bühnenregel, dass Bewegung Fokus zieht.
Ausdruck: Der Chor der Laistrygonen spielt mit übersteigertem oder groteskem Ausdruck (Stufe 9-10), was seinem Spiel etwas Komisches und zugleich Unheimliches verleiht. Odysseus und die Gefährten spielen dagegen eher mit einem mittleren Ausdruck, um den Zuschauer/innen zu ermöglichen, sich in ihre Lage einzufühlen.
Außen: Die Schauspieler/innen im Chor der Laistrygonen haben einen Körperschwerpunkt zur Entwicklung der Rolle gewählt, der ihren Körper nach unten zieht (z.B. Schultern).
Transfer: Die Vorstellung des Elements Erde hat den Schauspieler/innen geholfen, die Körperhaltung der Laistrygonen zu entwickeln, denn Erde ist ein schweres und träges Element, das nach unten drückt.
Chor: In der Szene treten zwei Chöre auf, die jeweils eine mehr oder weniger homogene Figurengruppe verkörpern: Zum einen der Chor der Gefährten um ihren König Odysseus, zum anderen der Chor der Laistrygonen. In beiden Gruppen gibt es individuelle Variationen zwischen den Chormitglieder/innen, beim Chor der Gefährten in emotionaler Hinsicht, beim Chor der Laistrygonen in der Körperhaltung.
Publikum: Der Chor der Laistrygonen spielt mit Blick ins Publikum, so dass die Zuschauer/innen selbst zum fiktiven Opfer der Steinwürfe werden. Dies intensiviert die Wirkung des autobiografischen Textes.
Wiederholung: Die einzelnen Laistrygonen wiederholen Bewegungsmuster der anderen Chormitglieder/innen (z.B. hängende Arme, hängende Schultern, breite Beine).
Variation: Trotz der Wiederholung bestimmter Muster in der Haltung entwickelt jede/r Laistrygone eine individuelle Körperhaltung.
Reduktion: Die Bewegungsmuster der Laistrygonen sind reduziert, um am Ende der Szene stärker den Inhalt des autobiografischen Textes hervortreten zu lassen.
Leitfrage: Wir haben uns dem Odysseus-Stoff unter der Leitfrage genähert, was Heimat und Heimatverlust bedeuten. Auch die Episode bei den Laistrygonen haben wir unter dieser Leitfrage in den Blick genommen.
Anker: Der autobiografische Text über die Lebensgeschichte der Mutter eines Schülers aus der Theatergruppe „verankert“ die Geschichte des Odysseus im Erfahrunghorizont der Gruppe.
Stimmgeste: Für die Verkörperung der Laistrygonen sind die Stimmgesten besonders wichtig, um ihrer affekthaften, tierischen Natur Ausdruck zu geben.
Lautstärke: Durch die Lautstärke wird das affektgetriebene Handeln der Laistrygonen unterstrichen.
Kostüm: Der Chor der Laistrygonen trägt ein schwarzes Grundkostüm, um den Fokus der Zuschauer/innen ganz auf das körperliche und chorische Spiel zu lenken. Die Gefährten des Odysseus sind ebenfalls relativ einheitlich gekleidet (braune Hose, blaues Hemd), allerdings mit stärkeren Variationen, um neben der Gruppenzugehörigkeit auch ihre Individualität zum Ausdruck zu bringen. Lediglich Odysseus trägt noch ein blassrotes Oberhemd, das seinen hervorgehobenen Status zwar andeutet, ihn aber gleichzeitig als Teil der Gruppe erscheinen lässt. Die Göttin Hestia trägt ein griechisches Gewand, um einen historischen Bezug herzustellen.
Sound: Die Live-Musik unterstreicht die Handlung atmosphärisch (playing the action), verdichtet die Emotionen und verleiht zugleich der Szene durch ihren rhythmischen Charakter mehr Dynamik. Das Voice over mit dem autobiografischen Text dient dazu, mittels dieser Stimme aus dem Off eine zweite, aktualisierende Sinnebene zu schaffen.
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