Gutenberg, der Erfinder des Buchdrucks, kehrt 550 Jahre nach seinem Tod wieder. In Albträumen durchlebt er, wie sein Traum, der Menschheit Bildung, Wissen und Wahrheit zu schenken, in den medial aufgeheizten Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit zerschlagen wurde. Er trifft auf Jugendliche von heute, die ihm von der nicht minder menschenverachtenden Hexenjagd auf Twitter & Co. berichten. Unabweisbar drängt sich die Frage auf: Bedeuten Medienrevolutionen Fluch oder Segen? Bringt die fortschreitende Vernetzung der Welt – sei es durch den Buchdruck oder das Internet – einen zivilisatorischen und demokratischen Fortschritt oder treibt sie die Menschen zu Hass, Lüge und Gewalt?
In dieser Szene erzählt Gutenberg den Jugendlichen von seinem Traum, den Menschen durch die Erfindung des Buchdruck Teilhabe an Wissen und Bildung zu eröffnen.
Ein Gemeinschaftsprojekt des Theater am Grimmels, der Haus- und Landwirtschaftlichen Schulen Offenburg und der Stadt Offenburg
Musikkomposition: Jan Esslinger
Infos zu den Mitwirkenden im Programmheft
Weitere Infos zu „Gutenbergs Traum“ finden sich auf der Website der Jungen Theaterakademie.
Der Theaterbaukasten
Hier finden sich Erläuterungen, wie die Bausteine des Theaterbaukastens in der Szene zur Anwendung kommen (ohne dass an dieser Stelle näher auf die Entwicklung der Szene eingegangen werden kann):
Position: Gutenberg tritt von links hinten auf und geht diagonal auf die zentrale Position 5 (Bühnenmitte), die einen starken Fokus zieht. Die Jugendlichen dagegen halten sich links und rechts am Rand auf und gehen lediglich beim Dialog etwas Richtung Mitte.
Formation: Der Chor der Lettern tritt in einer Reihenformation symmetrisch von links und rechts hinten auf. Die fertig gebildeten Wörter formieren sich ebenfalls in einer Reihe, vorne an der Rampe.
Muster: Während der Choreo bewegen sich die Lettern im Raster.
Wiederholen: Die Choreo der Drucklettern setzt sich aus einfachen Bewegungselementen zusammen, die sukzessiv wiederholt werden: Die Schauspieler/innen gehen im neutralen Gang im Raster. Wenn sie vorne in der Reihe stehen, drehen sie ihre Druckletter um.
Insgesamt gibt es drei choreographische Sequenzen, die durch die Abfolge Monolog – Dialog – Monolog gegliedert werden.
Freeze: Während der Monolog- und Dialogsequenzen geht der Chor der Lettern ins Freeze.
Tempo: Das Tempo der Choreo richtet sich nach dem Rhythmus des Sounds. Am Ende steigert sich das Bewegungstempo, im Einklang mit der inneren Dramatik.
Neutral: Der Chor der Lettern bewegt sich in neutraler Haltung.
Ausdruck: Sich der Bedeutung seiner Erfindung bewusst, spricht Gutenberg mit einem großen, teilweise übersteigerten Ausdruck, der nicht frei von Pathos ist. Dieser wird im Verlauf der Szene in seiner Brüchigkeit aufgedeckt, als augenscheinlich wird, wie sehr Gutenberg unter der Ambivalenz seiner Erfindung leidet.
Die Jugendlichen spielen zunächst mit einem lässig-coolen, eher kleinen oder mittleren Ausdruck. Am Ende der Szene wirken sie betroffener.
W-Fragen: Gutenberg, der Erfinder des Buchdrucks (Wer?), kehrt 550 Jahre nach seinem Tod zurück. Schreckliche Albträume quälen ihn, weil der durch seine Erfindung ermöglichte, massenhafte Druck von Flugblättern die Hexenverfolgungen angeheizt hat (Was ist vorher geschehen?). Auf dem Weg nach seiner Wirkungsstätte Straßburg (Wo?) trifft er auf Jugendliche, die Anteil an seine Schicksal nehmen. Nach und nach öffnet er sich ihnen (Was?). Als er an den Punkt gelangt, an dem er ihnen seine Verzweiflung mitteilt, schlägt die Situation schlagartig um (Drehpunkt).
Innen: Gutenberg tritt zunächst im Gefühl des Stolzes auf (Gefühl 1). Von Anfang an spürt man aber hinter seiner scheinbaren Selbstsicherheit eine innere Unruhe und Nervosität (Gefühl 2), die den emotionalen Umschwung zur Verzweiflung (Gefühl 3) vorbereitet.
Status: Gutenberg tritt zunächst im Hochstatus auf, dem die zentrale Bühnenposition, seine großen Gesten und seine kraftvolle Stimme Ausdruck verleihen. Als er aber einsehen muss, dass seine Erfindung nicht nur Wissen und Bildung unter die Menschen gebracht hat, sondern auch „shitstorms“ verbreitet hat, fällt er in Tiefstatus. Am Ende wird seine Körperhaltung geschlossener, die Gesten enger, er geht in gedrückter Haltung ab.
Publikum: In der Überzeugung, der Nachwelt Bedeutendes hinterlassen zu haben, spricht Gutenberg das Publikum direkt an. Die Jugendlichen dagegen spielen mit Vierter Wand.
Aktion – Reaktion: Gutenberg treibt in der Szene die Aktion voran, die Jugendlichen reagieren auf sein Spiel: Ihre anfänglich „coole“ Unbefangenheit weicht einer emotionalen Betroffenheit.
Wiederholung: Die Choreo der Drucklettern beruht auf der Wiederholung einfacher Bewegungselemente (vgl. Baustein „Zeit“).
Variation: Um Gutenbergs handwerkliche Tätigkeit zu veranschaulichen, haben wir „Fehler“ in die Choreo eingebaut. So ist einmal eine Druckletter falsch gedreht und steht zu weit rechts. Damit wird Gutenberg die Gelegenheit gegeben, diesen Fehler eigenhändig zu korrigieren.
Kontrast: Als Gutenberg die Einsicht, dass seine Erfindung durch die massenhafte Flugblattproduktion zur Verbreitung von „shitstorms“ führte, nicht länger verdrängen kann, schlägt die Stimmung schlagartig ins Gegenteil um.
Reduktion: Die Choreo beruht auf einer reduzierten Anzahl von einfachen körperlichen Ausdrucksmitteln.
Leitfrage: Der Eigenproduktion liegt die Leitfrage zugrunde, welche (ambivalenten) Folgen mediale Revolutionen für die Gesellschaft haben und wie ein sinnvoller Umgang mit Medien aussehen kann. Am ersten Aspekt dieser Leitfrage orientierte sich die Entwicklung dieser Szene, in der Gutenberg schmerzlich mit den nicht beabsichtigten Folgen seiner Erfindung konfrontiert wird.
Anker: Um die mediale Revolution des Buchdrucks im Erfahrungshorizont der Jugendlichen zu „verankern“, haben wir deren ambivalente Folgen durch die chorische Replik „shitstorms“ mit der Ambivalenz der digitalen Revolution in Verbindung gebracht.
Handeln – Sprechen: Durch die wiederholte Abfolge Monolog/Dialog – Choreo werden Sprechen und Handeln klar getrennt.
Subtext: Im ersten Teil der Szene erzählt Gutenberg mit einem gewissen Pathos von seiner humanistischen Vision. Seine spürbare innere Unruhe lässt aber den Subtext durchscheinen, dass es ihm von Anfang an schwerfällt, die destruktiven Folgen seiner Erfindung zu verdrängen.
Lautstärke: Im lauten Schreien sowohl Gutenbergs als auch des Chors verschafft sich das lange unterdrückte schlechte Gewissen eine unüberhörbare Stimme.
Kostüm: Der Chor der Lettern trägt ein schwarzes Grundkostüm, jede/r Darsteller/in hat eine eigene Letter als Requisit. Die Jugendlichen tragen Jeans und ein unifarbenes Oberteil (allerdings jeweils in einer anderen Farbe). Lediglich das historisch-opulente Kostüm von Gutenberg weicht von diesem reduzierten Kostümbild ab, um seine exponierte Ausnahmeposition sinnfällig zum Ausdruck zu bringen.
Bühnenbild: Das Bühnenbild besteht aus fünf weißen Vorhängen, auf die farbiges Licht projiziert wird.
Sound: Die Musik erfüllt eine doppelte Funktion. Sie unterstreicht erstens atmosphärisch die Handlung (playing the action), weshalb sie im zweiten Teil der Szene auch dramatischer und bedrohlicher wirkt. Zweitens gibt sie der Choreo den Rhythmus vor.
Licht: Im ersten Teil der Szene werden die Vorhänge in warmem Farblicht (gelb und orange) angestrahlt, um die scheinbar hoffnungsvoll-euphorische Stimmung Gutenbergs zu verstärken, im zweiten Teil werden sie schlagartig in kaltes Licht getaucht (blau und violett).